Mariam Fekry und 22 weitere Kopten starben in der Neujahrsnacht 2011 bei einem Bombenattentat in Alexandria
„Märtyrer des Monats Januar 2023“
Die 22-jährige christliche Studentin der Ingenieurwissenschaften, Mariam Fekry aus der ägyptischen Hafenstadt Alexandria, schrieb am Silvesterabend 2010 dankbar und hoffnungsvoll auf Facebook: „2010 ist vorbei…Dieses Jahr ist das Beste in meinem Leben….Ich habe so viele Wünsche für 2011…Bitte, Gott, bleibe bei mir und hilf mir, sie wahr zu machen.“ Es war ein Samstag, genau wie Silvester 2022. Wenige Stunden später ging sie mit ihrer Familie zur Messe in die „Kirche der beiden Heiligen Markus und Petrus“ in Alexandria, auch El-Qiddissine-Kirche genannt. Sie waren unter rund 1.000 Besuchern, die die Kirche nach Ende des Gottesdienstes verließen, als um 0.20 Uhr eine Autobombe davor explodierte. Mit Mariam starben ihre Schwester Martina, ihre Mutter Sonia und ihre Tante Samira Soliman. Die Chronik der koptischen Kirche führt noch 19 weitere Opfer auf, die als Märtyrer verehrt werden, weil sie für ihren Glauben gestorben sind. (Die vollständige Liste steht unter diesem Artikel.) Rund 100 Menschen wurden darüber hinaus verletzt.
Das Massaker ereignete sich in der Agonie des Mubarak-Regimes: Am 7. Februar 2011 wurde bekannt, dass der ägyptische Generalstaatsanwalt eine Untersuchung gegen den am 28. Januar entmachteten ägyptischen Innenminister Habib El-Adly wegen des Verdachts, Drahtzieher des Attentats zu sein, eingeleitet hatte. Vier Tage später trat Hosni Mubarak selbst vom Präsidentenamt zurück. Spätestens seit 2004 hatte sich Widerstand gegen das Regime formiert.
Bei der Neujahrsmesse appellierte der jüngst verstorbene und damals noch amtierende Papst Benedikt XVI. an die damaligen Machthaber am Nil, die christliche Minderheit zu beschützen. In einem sowohl theatralischen wie auch staatshörigen Akt brach daraufhin die Kairoer Universität Al Azhar den interreligiösen Dialog mit dem Vatikan ab. Das „Staatsoberhaupt ohne Divisionen“ hatte die Führung des Landes brüskiert, in dem die stärkste Armee des Nahen Ostens die Strippen zieht. Der Dialog ruhte sechs Jahre lang bis ins nächste Pontifikat hinein. In derselben Zeit hatten sich am Nil zwei Umstürze vollzogen. Wenn es wirklich eine False-Flag-Aktion war, wie die Ermittlungen gegen ein Regierungsmitglied nahelegten, quasi „Bomben aus zweiter Hand“ mit dem Ziel, den Verdacht auf die damals mächtigste Opposition, die islamistischen Muslimbrüder, zu lenken und zugleich die Christen (zehn Prozent der Bevölkerung) in Angst zu versetzen, dann ist diese Geschichte umso beschämender für die Drahtzieher. Zugleich wirkte der Appell des Papstes wohl umso kühner.
Zurück zu Mariam: Die Verfasserin dieses Beitrags war schon oft zu Gast in der Deutschen Schule der Borromäerinnen in Alexandria, die die ägyptische Christin einst besuchte. Dort erfuhr sie von dem Martyrium der koptisch-orthodoxen Christin und ihrer Angehörigen. In einer Schulchronik heißt es über sie: „Wie eine Blume wuchs sie zwölf Jahre lang in unserer Schule zwischen ihren Mitschülerinnen in Toleranz und Liebe und schöpfte aus zwei Kulturen, der ägyptischen und der deutschen. Aufgrund ihrer natürlichen Begabung in Mathematik studierte sie nach dem Abitur Ingenieurwesen an der „Alexandria University Arab Academy for Science, Technology and Maritime Transport“.“
Die Schulträgerinnen, die „Barmherzigen Schwestern vom heiligen Karl Borromäus“ in Alexandria (mit dem Mutterhaus im Kloster Grafschaft in Schmallenberg/Hochsauerlandkreis) erinnern sich noch immer an die Familie: „Mariam war unsere ehemalige Schülerin. Nach dem Attentat waren wir sehr um ihren Vater besorgt und haben ihn gleich besucht“, berichtete Schwester Ancilla der Verfasserin. Obwohl er vier enge Familienmitglieder bei dem blutigen Anschlag verloren hatte, verzweifelte er nicht und blieb nicht verbittert zurück. Die Ordensfrau berichtete, dass er sich vielmehr ganz in den Dienst anderer Überlebender und Angehöriger von Opfern stellte, um sie zu trösten. Es sollte leider bei weitem nicht das letzte Attentat in Ägypten sein:
Die Verfasserin erfuhr von ihm erstmals während eines Solidaritätsbesuchs einige Tage nach zwei Terrorakten, die sich am Palmsonntag, den 9. April 2017, gegen die Sankt-Georg-Kirche in Tanta im Nildelta und gegen die Sankt-Markus-Kathedrale in Alexandria richteten. Damals waren 44 Menschen bei dem Massaker ermordet worden, 120 weitere wurden verletzt. Während von den Opfern noch viele im Krankenhaus weilten und andere Überlebende an einen Ort gebracht worden waren, an dem sie sich erholen sollten, suchte die Verfasserin die Überlebenden vom Neujahrsattentat 2011 auf.
Nicht überraschend: Viele seelische Wunden von damals waren durch die gerade zurückliegenden Eindrücke wieder aufgerissen. Trotzdem fanden einige von ihnen die Kraft, den Überlebenden des jüngeren Anschlags persönlich zu kondolieren. Eine Delegation der El-Qiddissine-Gemeinde war sogar ins Nildelta nach Tanta gefahren, um die Brüder und Schwestern im Glauben dort zu stärken. Diese ausgeprägte Geschwisterlichkeit ist – neben dem unerschütterlichen Glauben an das ewige Leben – eine Besonderheit unter ägyptischen Christen, worin sie sich im Allgemeinen von ihren westlichen Glaubensgeschwistern bemerkenswert unterscheiden.
Eingang der Al-Qidissine-Kirche in Alexandria
Unter den Überlebenden, die die Verfasserin traf, war noch ein verwaister Familienvater. Sein Name ist Ismail Abdel Masih Saleb Morgan. Er war 2017 schon Witwer und lebte mit seinem 22-jährigen Sohn Mikhail zusammen. An dem Abend war er selbst zu Hause geblieben, um die Fastenspeise für die Nacht zuzubereiten. Die Kopten fasten mehrere Stunden vor Empfang der Kommunion und so erwartete der Vater nach der Messe einen hungrigen Sohn. Er war noch dabei zu kochen, als er in den Nachrichten von dem Anschlag erfuhr. Im Moment drehte er das Gas am Herd ab und lief aus dem Haus zum Tatort. Seine Befürchtung offenbarte sich ihm zwischen Schutt und Blut als grausame Tatsache: Dort fand er seinen Sohn unter den Toten. „Da habe ich mich an einen Traum erinnert, der zwanzig Jahre lang zurücklag. Als Mikhail zwei Jahre alt war, erschien mir in diesem Traum ein Engel, der mir sagte, mein Sohn werde sterben und in den Himmel kommen“, verriet er der Verfasserin beim Interview im Eingangsbereich der großen Kirche. „Die Erinnerung tröstete mich“, fuhr er fort, „so wusste ich, dass er bei Jesus ist“.
Es ist nicht die irdische Gerechtigkeit, sondern ihre Glaubensstärke, die vielen ägyptischen Christen Trost spendet. Letzten Sommer traf die Verfasserin schließlich Mariams Vater, Fekry Naguib, persönlich, besuchte ihn daheim. Im ehemaligen Zimmer seiner Töchter befindet sich inzwischen eine Gedenkstätte. Wo vielleicht zuvor Schreibtisch oder Schminktisch standen, offenbaren nun gläserne Vitrinen Stationen aus dem Leben der Familie: „Eigentlich hätte ich verrückt werden müssen, Selbstmord begehen können, angesichts meiner vier Angehörigen, die ich unter den Opfern fand“, bekannte er bei der Begegnung. Ein Priester, den er um seelsorgerlichen Beistand gebeten hatte, hieß ihn, Ruhe zu bewahren. „Gott wird Dich an einen Platz setzen, den er für Dich bestimmt hat und der Dir guttut“, war sich der Priester sicher. Es dauerte ein Jahr und acht Monate, bis er einen Entschluss fassen konnte, wie es mit ihm weitergehen sollte. Auslöser war ein Anruf aus seiner Pfarrgemeinde: Er war nach einem ungewöhnlichen Todesfall gebeten worden, der Mutter des jungen Verstorbenen beiseite zu stehen; ihr 18-jähriger Sohn war eigentlich kerngesund, aber nach einem kurzen Einkauf plötzlich tot umgefallen. „Ich ging zu ihr, da etwas sprach aus mir heraus, es geschah nicht aus meiner Kraft“, ist sich Fekry Naguib heute sicher: Die tiefe Traurigkeit von Mariams Vater hatte sich gewandelt, so dass er aus dem Schmerz durch den Verlust schließlich sogar die Kraft zog, um andere zu trösten. Er kündigte seinen gut bezahlten Job im Personalmanagement einer US-Firma und widmet sich seither ganz der Arbeit als Trauerbegleiter. „Ich bin mir sicher, dass meine Familie im Himmel ist und mir hier auf Erden dabei hilft“, sagte er.
Michaela Koller
Die Namen der Märtyrer vom 1. Januar 2011
- Samouil Mikhail
- Sonia Soliman
- Mariam Fekry
- Martina Fekry
- Fawzey Bikhet
- Peter Samy
- Sabry Fawzey
- Samouil Girgis
- Adel Aziz
- Faiz Tawfiq
- Teriza Fawzey
- Zahia Fawzey
- Samira Soliman
- Lili Gaber
- Mary Hanna
- Mary Daod
- Haana Yosry
- Mikel Abd elmasih
- Moheb Zaky
- Mina Wagdy
- Magdy Poles
- Mikel Sabry
- Noshy Atta