Märtyrer des Monats März 2024
Achtzigster Todestag der polnischen NS-Opferfamilie Ulma
Auf ihrem Bauernhof hatten sie acht Juden und Jüdinnen versteckt, die ebenfalls von den NS-Besatzern und ihren Kollaborateuren getötet wurden.
Józef Ulma wurde am 2. März 1900 im südostpolnischen Markowa (in der heutigen Woiwodschaft Karpatenvorland) geboren und absolvierte die Landwirtschaftsschule in Pilzno. Am 7. Juli 1935 heiratete er Wiktoria Niemczak. In Markowa besaß Józef einen Bauernhof mit Gemüse- und Obstanbau. Er lehrte im Dorf Techniken zur Zucht von Bienen und Seidenraupen und stellte auch Leder her. Er war Hobby-Fotograf und fotografierte für die Ortsbewohner bei besonderen Ereignissen wie Hochzeiten zum Selbstkostenpreis. Er war ein überzeugter Christ, besuchte regelmäßig die Pfarrkirche St. Dorothea in Markowa, war Bibliothekar im Katholischen Jugendkreis und aktives Mitglied des Landjugendverbandes „Wici“. Er war bei allen Bewohnern im Dorf beliebt und stand in guter Freundschaft mit den Juden.
Wiktoria Niemczak wurde am 10. Dezember 1912 in Markowa (Polen) geboren. Sie widmete sich nach ihrer Heirat mit Józef Ulm dem Haus und ihren Kindern, half ihrem Mann bei seinen Aktivitäten und nahm mit ihm am Leben der christlichen Gemeinde von Markowa teil. Sie widmete sich auch dem Theater und nahm an den Aufführungen der Amateurtheatergruppe des Verbandes der Landjugend „Wici“ teil. Die sieben Märtyrerkinder sind Stanislawa (geboren am 18. Juli 1936), Barbara (geboren am 6. Oktober 1937), Wladyslaw (geboren am 5. Dezember 1938), Franciszek (geboren am 3. April 1940), Antoni (geboren am 6. Juni 1941), Maria, (geboren am 16. September 1942). Wiktoria war zum Zeitpunkt des Mords mit dem siebten Kind schwanger.
Die Eheleute Ulma praktizierten ihren katholischen Glauben. Sie gehörten der „Bruderschaft des Lebendigen Rosenkranzes“ an und beteiligten sich aktiv an Initiativen des Gebets und des Apostolats und waren in das Leben der Pfarrgemeinde eingebunden, im katholischen Jugendkreis aktiv, beteten aber auch in der Familie und lasen in der Heiligen Schrift. In der noch aufgefundenen Familienbibel fand man die Geschichte von Barmherzigen Samariter unterstrichen, wohl auch ein Impuls, für ihre selbstlose, lebensgefährliche Nächstenliebe. Das Ehepaar war zudem sozial eingestellt.
Nachdem die Ulmas und weitere Dorfbewohner im Sommer 1942 Augenzeugen der Hinrichtung von knapp 100 jüdischen Mitbewohnern in Markowa durch Angehörige der nationalsozialistischen Ordnungspolizei geworden waren, beschlossen sie, zur Aufnahme verfolgter Juden bereit zu sein um sie vor der Ermordung zu retten – wissend um die damit verbundene Lebensgefahr. Im Herbst 1942 suchte die Familie Goldman, Saul und seine vier Söhne, die in einigen Quellen auch Szall genannt wird, bei den Ulmas Unterschlupf, denn die Lage ihres Hauses am Dorfrand schien für ein Versteck geeignet. Kurz darauf baten auch die beiden jüdischen Schwestern Golda und Layka um Aufnahme. Viele Bewohner des Dorfes opferten einen Teil ihrer Lebensmittelrationen für die Versteckten.
Nachdem die Ulmas verraten wurden, kamen am frühen Morgen des 24. März 1944 deutsche Polizisten gemeinsam mit polnischer Hilfspolizei, der Blauen Polizei, in ihr Haus. Sie erschossen erst die beiden jüdischen Familien, dann Josef und Viktoria Ulma, bei der während der Hinrichtung wohl die Wehen einsetzten, und anschließend auch die sechs kleinen Kinder der Ulmas. Dem Massaker mussten andere Dorfbewohner zur Abschreckung beiwohnen. Bei einzelnen Familien, die weitere Juden versteckt hielten, brach dann Panik aus; sie führten ihre Schützlinge nachts aufs Feld und brachten sie um. Am nächsten Morgen wurden in den Feldern 24 Leichen von Juden aufgefunden. Aber trotz des enormen Drucks überlebten in Markowa knapp 20 Juden mit Hilfe ihrer Nachbarn.
Im Jahr 1995 ehrte die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem die Ulmas als „Gerechte unter den Völkern“. Im Jahr 2016 eröffnete der polnische Staatspräsident Andrzej Duda in Markowa das „Familie-Ulma-Museum zu Ehren aller Polen, die Juden vor dem Holocaust retteten“. Seit 2018 ist der 24. März nationaler Gedenktag für die polnischen Retter jüdischer Menschen. Allein in der Region Vorkarpaten mit der Hauptstadt Rzeszów versteckten 1.600 Polen rund 2.900 Juden vor den NS-Besatzern. Die Nationalsozialisten ermordeten dort etwa 200 Polen, weil sie Juden retten wollten. Insgesamt wurden bisher mehr als 7.200 Polinnen und Polen für die Rettung von Juden als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet.
Nur zwei Täter mussten für den Tod der neunköpfigen Familie und der acht Juden büßen: Der polnische Polizist, der die Familie an die Nazis verriet, wurde von polnischen Untergrundkämpfern erschossen. Ein ehemaliger deutscher Polizist, Joseph Kokott, wurde 1958 von einem polnischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Er starb 1980 im Gefängnis. In seinen Aussagen versichert er, auf Befehl des deutschen Polizeikommandanten Eilert Dieken gemordet zu haben. Dieken, geboren 1898 in der ostfriesischen Kleinstadt Esens, wurde nach Kriegsende entlastet, arbeitete bis zu seinem Tod 1960 als Oberkommissar bei der Polizei im heimatlichen Landkreis.
Am 10. September 2023 stellte Papst Franziskus beim Angelusgebet auf dem Petersplatz die polnische Märtyrerfamilie Ulma als Vorbild des Glaubens und der Nächstenliebe vor: „Eine ganze Familie wurde von den Nazis ausgelöscht, weil sie verfolgten Juden Unterschlupf gewährten. Sie setzten dem Hass und der Gewalt jener Zeit die Liebe des Evangeliums entgegen. Diese polnische Familie war ein helles Licht in der Dunkelheit des Zweiten Weltkriegs. Mögen sie für uns alle ein Vorbild sein, das wir nachahmen wollen.“
Zuvor hatte der Leiter der Vatikanbehörde für Heiligsprechungen, Kardinal Marcello Semeraro, die Seligsprechung des Landwirts Jozef Ulma, seiner damals im siebten Monat schwangeren Frau Wiktoria sowie der sechs Kinder im Alter von eineinhalb bis acht Jahren bei einem Gottesdienst in Markowa im Südosten Polens, dem Heimatdorf der Familie, bekanntgegeben. Rund 30.000 Menschen waren in Markowa zu der Messe unter freiem Himmel gekommen, darunter Polens Oberrabbiner Michael Schudrich sowie Staatspräsident Andrej Duda und Regierungschef Mateusz Morawiecki. Semeraro sagte in seiner Predigt: „Im Zeugnis und im Martyrium der Ulmas und ihrer Kinder entdecken wir die Größe der Familie, den Ort des Lebens, der Liebe und der Fruchtbarkeit neu.“ Walter Flick