Märtyrer des Monats November 2023
Achtzigster Todestag von vier Nazi-Gegnern aus Lübeck
Als „Lübecker Märtyrer“ werden die drei katholischen Priester Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange sowie der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink bezeichnet, die alle während der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Lübeck wirkten, sich als Gleichgesinnte in der NS-Gegnerschaft kennenlernten und kurz nacheinander am 10. November 1943 in Hamburg von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Die drei katholischen Geistlichen wurden am 25. Juni 2011 in einem feierlichen Gottesdienst mit Kardinal Angelo Amato, damals Präfekt der Kongregation für Selig- und Heiligsprechungsprozesse, vor ihrer gemeinsamen Wirkungsstätte, der Lübecker Herz-Jesu-Kirche, selig gesprochen. Kardinal Walter Kasper predigte dabei. Im Rahmen der Feier wurde auch Pastor Stellbrinks ehrenvoll gedacht. Der 25. Juni wurde als liturgischer Gedenktag der seliggesprochenen Priester festgelegt.
Das Schicksal der Lübecker Geistlichen ist ein Zeugnis für die „Ökumene der Märtyrer“.
Die Angaben zu den drei katholischen Geistlichen beziehen sich hauptsächlich auf das von Prälat Professor Helmut Moll herausgegebene „Deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts – Zeugen für Christus“ (7.Auflage, Paderborn 2019). Prälat Helmut Moll erhielt 2008 in der Frankfurter Jesuitenhochschule Sankt Georgen den Stephanuspreis für verfolgte Christen. Erwähnenswert ist auch die frühe Arbeit von Else Pelke: Der Lübecker Christenprozess (2.Auflage Mainz 1963). Mittlerweile gibt es zu den Lübecker Märtyrern eine umfangreiche Literatur.
Kaplan Johannes Prassek
Prassek wird als „führender Kopf“ der Märtyrer beschrieben. Er wurde am 13. August 1911 in Hamburg-Barmbeck geboren.
Johannes wuchs unter wirtschaftlich einfachen Verhältnissen auf. Sein Vater ernährte die Familie als Maurer. Im Jahr 1931 legte er am Hamburger Johanneum ein ausgezeichnetes Abitur ab. Seine Mutter war zur katholischen Kirche konvertiert. Als Priesteramtskandidat des Bistums Osnabrück studierte er zunächst von 1931 bis 1933 an der Jesuitenhochschule Sankt Georgen in Frankfurt. Diese Jahre bezeichnete er als „hohe Zeit“ in seinem Leben, auf die er gerne zurückblickte.
Für den überdurchschnittlich großen Mann (1,94 Meter) musste eigens ein Bett angefertigt werden. Den Studenten zeichneten Humor (er parodierte etwa gerne Dozenten) und Freundlichkeit aus. In Frankfurt schloss sich Prassek der Studentenverbindung Unitas an. Im Jahr 1933 wechselte er zum Studium nach Münster und 1935 ins Priesterseminar nach Osnabrück, wo er manchmal durch kritische Bemerkungen auffiel und seine Priesterweihe zunächst etwas hinausgezögert wurde. Sie erfolgte schließlich am 13. März 1937 im Osnabrücker Dom.
Prassek wurde 1939 Vikar und 1940 erster Kaplan an der Lübecker Herz-Jesu-Kirche. Hier wurde er schnell ungewöhnlich beliebt, seelsorgerisch erfolgreich und zog durch seine beeindruckenden Sonntagspredigten nicht nur zahlreiche Gläubige, sondern auch Gestapo-Spitzel an. Er hatte die polnische Sprache erlernt und kümmerte sich um polnische Zwangsarbeiter, was strikt verboten und mit hohen Strafen belegt war. Im Gesprächskreis kritisierte er die NS-Ideologie, den Krieg und die kirchenfeindliche Politik.
Im Sommer 1941 lernte Prassek bei einer Beerdigung den gleichgesinnten, 17 Jahre älteren evangelischen Pastor Stellbrink kennen. Man tauschte Informationen aus, auch über feindliche Rundfunksender, und entschloss sich, NS-kritische Flugschriften – etwa die Predigten des Bischofs von Münster, Clemens August Kardinal von Galen – zu verteilen. Ein junger Mann, dem Prassek vertraute, entpuppte sich später als Spitzel.
Am 18. Mai 1942 verhaftete die Gestapo den Kaplan und er wurde zunächst im Lübecker Marstall-Gefängnis unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht. Kurz vor seiner Verhaftung hatte Prassek noch das Luftschutz-Ehrenabzeichen wegen seines selbstlosen Einsatz während der Bombardierung Lübecks in der Nacht zum Palmsonntag, dem 29. März 1942, erhalten. Der Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning besuchte Prassek und bemühte sich um seine Freilassung sowie die der beiden anderen Priester seines Bistums. Vergeblich: Am 24. Juni 1942 verurteilte der Volksgerichtshof Prassek wegen „Vorbereitung zum Hochverrat, Zersetzung der Wehrkraft und landesverräterischer Feindbegünstigung“ zum Tode. Es erfolgte die Überführung in das Hamburger Gefängnis Holstenglacis, Abteilung Schwerverbrecher. Am 10. November 1943 wurde Kaplan Prassek zusammen mit den drei anderen Lübecker Geistlichen durch das Fallbeil hingerichtet.
Vikar Hermann Lange
Hermann Lange wurde am 16. April 1912 im ostfriesischen Leer geboren. Er wuchs mit vier Geschwistern in bürgerlich-gesicherten Verhältnissen auf. Nach seinem Abitur studierte er von 1931 bis 1937 katholische Theologie an der Universität Münster. Bischof Wilhelm Berning weihte ihn im Dezember 1938 im Dom zu Osnabrück zum Priester. Im Jahr 1939 wurde er Adjunkt (Hilfsgeistlicher) an der Herz-Jesu-Kirche in Lübeck und 1940 dort zum Vikar ernannt. Er wurde als belesener, intellektueller Priester beschrieben, freundlich und vornehm im Auftreten und menschlich sehr integer. Wie seine Kollegen vervielfältigte und verteilte er die bekannten Anti-Euthanasie Predigten des Bischofs von Münster. In Langes Gruppenabenden wurde offen über die Sinnlosigkeit des Krieges diskutiert. Einem jungen Soldaten, der durch Kriegsgräuel verunsichert war, äußerte Lange gegenüber, dass ein Christ auf deutscher Seite an dem Krieg eigentlich nicht teilnehmen dürfe. Auch Lange half in der Lübecker Bombennacht zum Palmsonntag 1942 unter Einsatz seines Lebens. Am 15. Juni 1942 wurde der Vikar verhaftet und in das Lübecker Gefängnis Lauerhof gebracht. Der eigens aus Berlin angereiste Volksgerichtshof verurteilte ihn ebenso wie die drei anderen im Juni 1943 zum Tode und Lange wurde gemeinsam mit ihnen am 10. November 1943 in Hamburg durch das Fallbeil hingerichtet.
Adjunkt Eduard Müller
Eduard Müller wurde am 20. August 1911 in Neumünster (Schleswig-Holstein) als Jüngstes von sieben Kindern geboren. Der Vater, als Schumacher und Rangierer tätig, hatte die Familie früh verlassen und kam bei einem Rangierunfall ums Leben. Die fromme Mutter musste als Stundenhilfe und Waschfrau arbeiten, um ihre Kinder durchzubringen. Nach einer Tischlerlehre konnte Müller das Abitur nachmachen und von 1935 bis 1940 in Münster Theologie studieren. Am 25. Juli 1940 weihte ihn Bischof Berning im Dom zu Osnabrück zum Priester.
Im August 1940 kam er als Adjunkt (Hilfspriester) an die Lübecker Herz-Jesu-Kirche. Er, der eher unpolitisch war, wurde in der Jugend- und Gesellenarbeit eingesetzt. Wie die drei anderen Geistlichen erkannte er die Unvereinbarkeit von Nationalsozialismus und Christentum. Er hörte ebenfalls verbotenerweise den deutschsprachigen Dienst des britischen Rundfunks und beteiligte sich an der Verteilung der regimekritischen Predigten des Bischofs von Münster. Am 22. Juni 1942 wurde Eduard Müller festgenommen, zum Tode verurteilt und am 10. November 1943 mit den drei anderen Glaubenszeugen hingerichtet.
Pastor Karl Friedrich Stellbrink
Karl Friedrich Stellbrink wurde am 28. Oktober 1894 in Münster als zweites Kind des Oberzollsekretärs Karl Stellbrink und seiner Frau Helene geboren. Nach der Mittleren Reife 1913 trat er in das Diaspora-Seminar der preußischen Landeskirche in Soest ein, das für den Dienst im Ausland vorbereitete. Nach schwerer Kriegsverletzung 1917 holte er das Abitur nach, das er 1919 bestand. Nach einer Predigerausbildung in Soest und kurze Zeit als Vikar in Barkhausen (Bezirk Minden) wurde er für das geistliche Amt in Übersee ordiniert. Von 1921 bis 1929 lebte Stellbrink als Auslandsvikar in Brasilien. Im Jahr 1921 hatte er geheiratet und die Eheleute bekamen in Brasilien vier Kinder. Im Jahr 1934 wurde er an die Lübecker Lutherkirche berufen. Stellbrink war zunächst überzeugter Nationalsozialist. Er stand der Bekennenden Kirche fern, ebenso jedoch den Deutschen Christen. Erst als ihm die kirchenfeindliche Haltung der NSDAP bewusst wurde, führte diese Erkenntnis zu einem Gesinnungswandel. Im Jahr 1936 wurde Stellbrink aus der Partei ausgeschlossen. Bei Kriegsbeginn war er ein entschiedener NS-Gegner.
Seit Sommer 1941 hatte der evangelische Pfarrer enge Verbindungen zu den katholischen Geistlichen der Lübecker Herz-Jesu-Kirche um Johannes Prassek und Hermann Lange und diskutierte wie diese mit jungen Christen kritisch über das NS-Regime und die Kriegslage. Seine Predigt zur Lübecker Bombennacht Ende März 1942 wurde als „Gottesgericht“ interpretiert. Am 7. April 1942 wurde Karl Friedrich Stellbrink verhaftet, am 23. Juni 1943 im „Lübecker Christenprozess“ vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 10. November 1943 in Hamburg mit den drei katholischen Geistlichen durch das Fallbeil hingerichtet.
(vgl. dazu: Porträt Gedenkstätte Deutscher Widerstand)
Bemerkenswert sind die Briefe der Hingerichteten:
Aus den Schriften des seligen Johannes Prassek und seiner Gefährten, Priester und Märtyrer
(Brief von Kaplan Johannes Prassek an Bischof Berning, Bundesarchiv Berlin, BArch NJ 15738, Bd. 5, in Bl. 9 und von Vikar Hermann Lange an seine Eltern sowie an seinen Bruder, geschrieben im Gefängnis am 10. November 1943; Bistumsarchiv Osnabrück, BAOS 04-62-32.)
Welch wunderbare Kraft geht aus vom Glauben an Christus, der uns im Tode vorausgegangen ist?
„Hochwürdigster Herr Bischof! Heute darf ich sterben. Es ist wirklich so, dass ich es als einen großen Vorzug und als großes Glück empfinde, unter diesen Umständen sterben zu dürfen. Machen Sie sich keine Sorge, ich bitte Sie darum. Ich danke Ihnen für all Ihre Liebe und Güte und Sorge, die Sie sich um mich gemacht haben. Ich kann Ihnen das hier nicht vergelten. Vom Himmel aus werde ich noch viel mehr für Sie beten, als ich es hier gekonnt habe. Ich danke Ihnen für dieses besonders, dass Sie mich zum Priester geweiht haben und dass ich einige Jahre in Ihrer Diözese arbeiten durfte. Was ich trotz besseren Willens nicht gut und womit ich Ihnen Sorge gemacht habe, deswegen bitte ich Sie herzlich um Verzeihung. Darf ich Ihnen noch einmal unsere Liebe und Verehrung versichern, so wie ich sie Ihnen am Tag der Priesterweihe versprochen habe?
In mir ist die große Freude der Hoffnung auf Gottes Güte und Erbarmen. Ich denke, dass er, der am Kreuze noch verziehen hat, auch mir gnädig sein wird. Ich sterbe mit tiefem Dank an Gott für alles, Liebes und Leides, was Er mir im Leben geschenkt hat. Ich weiß, dass alles immer nur ein Geschenk seiner Liebe war. Ich sterbe in herzlicher Liebe und tiefem Dank gegen unsere heilige Kirche, durch die ich Gotteskind und Priester werden durfte. Ich sterbe in der Liebe und Sorge um unser deutsches Vaterland. Möge Gott es segnen und schützen.“
„Liebe Eltern, lieber Paul! Wenn Ihr diesen Brief in Händen haltet, weile ich nicht mehr unter den Lebenden! Das, was nun seit vielen Monaten unsere Gedanken immer wieder beschäftigte und nicht mehr loslassen wollte, wird nun eintreten. Es tut mir äußerst leid, dass ich Paul, den ich heute ganz bestimmt erwartete, nun doch nicht mehr gesehen habe. Andererseits ist es ja wirklich schön, dass er gerade in diesen Tagen zu Hause ist – so könnt Ihr Euch doch gegenseitig trösten. Wenn Ihr mich fragt, wie mir zumute ist, kann ich Euch nur antworten: ich bin 1.) froh bewegt, 2.) voll großer Spannung! Zu 1.: für mich ist mit dem heutigen Tage alles Leid, aller Erdenjammer vorbei – und Gott wird abwischen jede Träne von ihren Augen! Welcher Trost, welch wunderbare Kraft geht doch aus vom Glauben an Christus, der uns im Tode vorausgegangen ist. An Ihn habe ich geglaubt und gerade heute glaube ich fester an Ihn und ich werde nicht zuschanden werden. Wie schon so oft möchte ich Euch auch jetzt noch einmal hinweisen auf Paulus. Schlagt doch die folgenden Stellen einmal auf: 1 Kor. 15,43 f. 55! Röm. 14,8. Ach, schaut doch hin wo immer Ihr wollt, überall begegnet uns der Jubel über die Gnade der Gotteskindschaft. Was kann einem Gotteskinde schon geschehen? Wovor sollt’ ich mich denn wohl fürchten? Im Gegenteil: „freuet euch, nochmals sage ich euch, freuet euch!“ Und 2. heute kommt die größte Stunde meines Lebens! Alles, was ich bis jetzt getan, erstrebt und gewirkt habe, es war letztlich doch alles hinbezogen auf jenes eine Ziel, dessen Band heute durchrissen wird. ‚Was kein Auge gesehen, was kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen Herz gedrungen ist, hat Gott denen bereitet, die ihn lieben‘ (1. Kor. 2,9) Jetzt wird für mich der Glaube übergehen in Schauen, die Hoffnung in Besitz und für immer werde ich Anteil haben an Dem, Der die Liebe ist! Da sollte ich nicht voller Spannung sein? Wie mag alles sein? Das, worüber ich bisher predigen durfte, darf ich dann schauen! Da gibt es keine Geheimnisse und quälenden Rätsel mehr.
Noch einmal bitte ich Euch darum, geht Ihr Euren Weg in der Haltung, in der ich meinen gehe! Ruhig, stark und fest. Nicht sinnieren und grübeln, das alles führt doch letztlich nur zu Melancholie und zu Zwangsgedanken. Tragt alles hin zu Dem, in Dem alles Leid seine letzte Erfüllung findet und denkt daran, dass Maria die Königin aller Leidtragenden ist!“
Walter Flick