Die Macht der Ohnmacht

Feb 6, 2023 | Märtyrer des Monats

Pater Franz Reinisch widersprach mutig den Nationalsozialisten

„Märtyrer des Monats Februar 2023“

Am 1. Februar im Jahr 1903 kommt in einem Stadtteil von Feldkirch im österreichischen Bundesland Vorarlberg Franz Reinisch zur Welt. Er wird kurz nach seiner Geburt getauft und wächst in die katholische Kirche hinein. Infolge der Versetzungen des Vaters kommt es zu Umzügen nach Bozen und Bruneck, bis sich die Familie endgültig 1908 in Innsbruck niederlässt. Der Junge besucht nach der Grundschule das Gymnasium der Franziskaner in Hall bei Innsbruck.

Nach dem Abitur 1922 beginnt er ein Studium der Jurisprudenz und der Gerichtsmedizin, zunächst in Innsbruck und 1923 in Kiel an der Ostsee. In diesem Jahr erfährt er erstmals sehr deutlich einen Ruf Gottes in seiner Seele, ausgelöst vor allem durch die Erfahrungen in Kiel und bei vierwöchigen Exerzitien in der Nähe von Basel. Er will nun Priester werden und wechselt im Wintersemester 1923/24 zum Philosophie- und Theologiestudium.

Im Jahr 1928 wird er zum Priester geweiht und tritt danach bei den Pallottinern ein. Im Noviziat kommt es zu verschiedenen Konflikten, bei denen es auch um Macht und Freiheit geht. Aber er übt sich in Gehorsam. Er entdeckt die Schönstattbewegung im Jahr 1933, die ihn sehr berührt und begeistert. Im Jahr 1934 wird er als Spiritual bei den Theologiestudenten der Pallottiner in Salzburg eingesetzt. Aber er ist von Schönstatt so angetan, dass er dort alle Theologen zu Schönstättern machen will. Es kommt zu Widerspruch und Ablehnung; schließlich wird er nach Konstanz versetzt. In den folgenden Jahren erlebt er weitere Versetzungen. Er hält es an den jeweiligen Stellen meist nur kurz aus und erkennt selbstkritisch: „Ich zerschlage selbst, was ich aufgebaut habe, weil ich meine Forderungen zu hoch stelle.“ Erst 1938, nach einer tiefen Krise und seiner Versetzung nach Schönstatt in die Gemeinschaft der dortigen Pallottiner und in die Zentrale der gleichnamigen Bewegung, wird seine Seele klarer und ruhiger.

In all diesen turbulenten Jahren ist dem intelligenten Theologen Reinisch die dramatische Dimension der politischen Entwicklung ab 1933 nicht verborgen geblieben. Er sieht, dass sich bei Hitler und den Nationalsozialisten genau dieser Wille zur Macht, von dem Nietzsche sprach, wie ein böses Krebsgeschwür ausbreitet. Nach dem sogenannten „Röhm-Putsch“ 1934 hatte er die Nazis bei einem Tischgespräch eine „Verbrecherbande“ genannt.

In der Folge predigt und arbeitet er immer wieder gegen die NS-Diktatur. Im Jahr 1939 bricht Hitler den Zweiten Weltkrieg vom Zaun. 1940 bekommt Reinisch für sein widerständiges Handeln Rede- sowie Predigtverbot und wird damit in seiner Arbeit stark eingeschränkt. Als er 1942 Sanitätssoldat werden und den Treueeid auf Adolf Hitler leisten soll, will er davon nichts wissen, weil er darin dem Massenmörder Hitler Gehorsam versprechen soll. Damit verweigert er zugleich den Kriegsdienst in der Wehrmacht. Aufgrund dieser Haltung wird er verhaftet und kommt in das Wehrmachtsgefängnis in Berlin. Dort wird ihm vor dem Reichskriegsgericht der Prozess gemacht. In dieser Gefängniszeit vom 15. April bis zur Hinrichtung am 21. August 1942 macht der 39-jährige Tiroler eine tiefe Reifung durch, die aufgrund seiner Gefängnisnotizen gut nachzuverfolgen ist. Erscheint ihm seine Verweigerung im Frühling (April und Mai) weitgehend noch als eine „Flucht und Furcht vor sich selbst“, wie er schonungslos offen bekennt, wächst er langsam im Sommer (von Juni bis August) in das „Geheimnis der gekreuzigten Liebe“ hinein, wie er die Meditationen, die er in den Tagen vor seiner Hinrichtung schreibt, betitelt.

Er entwickelt eine vollkommene Hingabe an den Willen Gottes, obwohl er jederzeit von seiner Verweigerung zurücktreten und damit einer Hinrichtung entgehen könnte. Er gewinnt so viel innere Freiheit, dass er die anderen, die den Eid und den Kriegsdienst leisten, nicht verurteilt und nicht moralisch abqualifiziert. In einem Kärtchen, das dem Verfasser im Original vorliegt, schreibt er am 11. August 1942: „Lieben und Leiden in Freuden – F. Reinisch“. An diesem Tag wird er vom Gefängnis in Berlin-Tegel nach Brandenburg an der Havel, dem geplanten Hinrichtungsort verlegt, wo er dann am 21. August 1942 früh um 5.03 Uhr enthauptet wird. Der Pallottiner und Schönstattpriester Pater Johannes Tick war kurz nach der Hinrichtung in Brandenburg, um sich darüber zu erkundigen. Er schrieb über das Sterben des Blutzeugen: „Am 21. August ist er heimgegangen zu Gott und seiner himmlischen Mutter voller Freude und innerer Bereitschaft.“

Die Lichtgestalt Franz Reinisch gewinnt in ihrer vollkommenen Ohnmacht eine innere Macht und Kraft, die auf viele Menschen wirkt. Diese geistliche Macht des Märtyrers drückt der Philosoph Sören Kierkegaard sehr treffend in einer Notiz seiner Tagebücher aus:

„Eines haben beide gemeinsam, das Zwingende: der Tyrann, herrschsüchtig, zwingt durch Macht; der Märtyrer, Gott unbedingt gehorchend, zwingt durch Leiden. Der Tyrann stirbt, und seine Herrschaft ist vorbei; ein Märtyrer stirbt, und seine Herrschaft beginnt.“

 

Es ist die Macht und Herrschaft des vollkommen kindlichen Menschen, der leicht wie eine Feder geworden ist und der gerade dadurch eine „heilige“ – man kann sogar sagen – eine „heilende“ Macht über Menschen ausübt, wie es auch die Märtyrer Sophie Scholl, Dietrich Bonhoeffer oder Franz Jägerstätter tun. Der Verfasser hätte Reinisch in den Tagen vor seiner Hinrichtung gerne persönlich kennengelernt und beneidet die Menschen, die ihm damals begegnen und seine „Macht“ erfahren durften. Sein erster Biograf, Heinrich Kreutzberg, bezeichnet ihn als „das reinste Opfer des Nazismus“.

 

Diese innere Macht bringt Menschen dazu, an Reinisch zu erinnern und auf ihn hinzuweisen: Der Priester Martin Emge hat neben der Mitherausgabe einer Monografie mit Vorträgen von Reinisch Anfang der 90er Jahre 2018 das Buch „Über den Tod hinaus. Lebenswege mit Franz Reinisch“ publiziert. Reinisch hat den Liedermacher Wilfried Röhrig so tief angerührt, dass dieser ein Rockmusical über den Märtyrer schrieb und in sieben Aufführungen im deutschsprachigen Raum realisierte. Reinisch hat mit seiner inneren Macht auch Frauen ergriffen, so die Marienschwestern Ingrid M. Krickl und Doria M. Schlickmann.

 

Reinisch wurde stumm gemacht, zuerst mit dem Redeverbot, dann durch die Verhaftung und am Schluss durch die Hinrichtung. Aber seine Demut und Kindlichkeit machte ihn zu einem „Sänger“. Auf ihn trifft das wunderschöne Wort zu, das im Inneren einer Violine stand: „Als ich noch in den Wäldern lebte, habe ich geschwiegen, nun ich gestorben bin, singe ich.“

 

Franz-Josef Tremer, Diplomtheologe

 

Der Autor in einem Vortragsmitschnitt vom August 2022:

https://www.youtube.com/watch?v=B8EZPDFehfg&t=333s

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