Stephanuspreisträger 2016
Evangelisch-Lutherische Dreieinigkeitsgemeinde Berlin-Steglitz Berlin, 28. Mai 2016
Karl Hafen, ehem. Geschäftsführender Vorsitzender der IGFM

Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,

die Stephanus-Stiftung für verfolgte Christen hat erstmals im Jahre 2006 ihren Stephanus-Preis für Standhaftigkeit in der Bedrängnis vergeben. Er ist also heute 10 Jahre alt. Mit Sonderpreisen haben wir insgesamt 17 Personen und Werke gewürdigt, darunter Opfer wie Ranjha Masih aus Pakistan, Helen Berhane aus Eritrea oder Miriyam Rostampour und Marieh Amirizadeh aus dem Iran, aber auch ganz aktive Helfer wie Pfarrer Youkhana, der heute in Bagdad hilft, das Hilfswerk der Jesuiten in Homs, von deren drei Patres einer in Ausübung seines Dienstes am Nächsten in Homs ermordet wurde, oder auch Schwester Hatune Dogan und Bruder Andrew, die eigene und kraftvolle Hilfswerke aufgebaut haben, oder Berichterstatter, die wie das Nachrichtenmagazin Idea die Religionsfreiheit in den Mittelpunkt seiner Berichterstattung gestellt hat und sich auch bei heißen und heiklen Themen den Mund seiner Meinungsbildner nicht verbieten lässt. Und heute ehren wir mit dem Stephanus-Preis einen Mann, der im Mittelpunkt politischer und gesellschaftlicher Diskussionen steht, weil er bereit ist, für die Interessen seiner Schützlinge einzutreten, für sie zu kämpfen und auch anzuecken.

Weihnachten 2014 hörte ich das erste Mal von diesem Mann; ein Freund brachte mir seine Weihnachtsbotschaft. Ich war überrascht über die offenen Worte und die klare Sprache, die Dinge beim Namen zu nennen. Und so begann ich, seine Gemeindebotschaft weiterzugeben, zuerst an ein paar enge Freunde, dann weiter und weiter und ich war überrascht, wie viele Menschen diesen Mann kannten. Umsomehr bin ich heute sein Fan geworden und habe mich sehr gefreut über sein jüngstes Grußwort an seine Gemeinde und die Freunde der Missionsarbeit, in der er über seinen Besuch bei der Jahresversammlung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte über die Probleme sprach, die ihn heute beschäftigen.

In seiner Rede bei der IGFM stellt er sich selbst vor und ich will es hier mit seinen eigenen Worten tun:

„Ich bin Pfarrer der evang.-lutherischen Dreieinigkeitsgemeinde in Berlin Steglitz. Ich habe schon immer mit Migranten gearbeitet. Ich bin seit Anfang der neunziger Jahre Pfarrer der St. Marien-Gemeinde in Zehlendorf gewesen. Damals kamen die Russlanddeutschen als Migranten zu uns in die Gemeinde. Das war unsere erste große Welle, und dann ab etwa 2011 kamen iranische Christen zu uns, zu uns kamen Menschen, die hier konvertiert waren, aber dann kamen auch Menschen dazu, die schon im Iran Christen geworden waren. Das breitete sich dann so schnell aus im Jahre 2012, dass ich im Jahre 2013 mit ihnen in Steglitz in eine Kirche, die bis dahin nur wenig benutzt wurde, umgezogen bin. Damals waren wir 150, inzwischen habe ich es mit 1100 bis 1200 iranischen und afghanischen Konvertiten allein in der Gemeinde zu tun.“ Die Rede hier ist von Pfarrer Dr. Gottfried Martens, dem Pfarrer dieser Gemeinde hier.

Es geht ihm darum, christlichen Flüchtlingen eine neue Heimat, einen Bezugspunkt zu geben, an dem sie nicht nur gemeinsam beten, sondern auch Sicherheit verspüren durch einen Mann, der für sie eintritt, ihre Sorgen aufnimmt, mit ihnen spricht und ihnen Kraft durch den gemeinsamen Glauben gibt.

Gerade jetzt bläst ihm und auch uns der Wind ins Gesicht. Von angeblichen Enthüllungen ist in der angesehenen Zeitung „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ die Rede. Selbsternannte Enthüllungsjournalisten haben die befragt, die eigentlich wissen sollten, dass sie den Schwarzen Peter haben und nicht wir, die nun wie Angeklagte behandelt werden.

Wahrheiten hört man nicht so gern, besonders dann nicht, wenn deren Beheben mit besonderen Mühen verbunden ist, wenn dafür Standfestigkeit notwendig ist, wenn man dafür Kraft braucht. Pfarrer Dr. Martens hat darüber berichtet, dass Flüchtlinge um seine Hilfe gebeten hatten, weil sie alleine nicht klarkamen. Weil ihre Klagen in der Minderheit mit Gegenklagen der Mehrheit beantwortet werden. Weil man ihnen gesagt hat, dass es in ihrer Akte schlecht aussieht, wenn sie etwas behaupten, was sie nicht beweisen können. Weil mangelnde Sprachkenntnisse sie hindern, sich so auszudrücken, wie es Behörden erwarten, wenn sie ein Problem beschreiben sollen, für das bitte schön die Politik eine Lösung finden soll. Und die Politiker anerkennen, dass es da was gab, was nicht in Ordnung ist, aber um ein Problem zu sehen, dafür braucht es mehr. Und so beschwichtigen sie: „Wo gehobelt wird, fallen Späne“ und was sind da schon eine Handvoll Beschwerden bei einer Million Flüchtlinge? Und selbst die Handvoll – inzwischen sind es Hunderte – versuchen sie als private Auseinandersetzung hinzustellen. Also am Schluss war nichts?

Doch das Problem liegt viel tiefer. Alle Flüchtlinge kommen mit Vorerfahrungen aus ihrer Heimat, sie kommen mit vielen Hoffnungen. Die Politik schafft Generallinien, die sich früher oder später als gut oder schlecht beweisen. Dann wird nachgebessert. Bevor das passiert, wird versucht, das Problem niederzuringen. Das findet momentan statt. Noch vor drei Wochen saßen wir in einer Pressekonferenz und berichteten über Übergriffe auf Flüchtlinge durch Flüchtlinge und zum Teil auch durch Wachpersonal. Pfarrer Dr. Martens berichtete von konkreten Einzelfällen aus seiner Gemeinde und dem Umfeld Berlin-Brandenburg, ich berichtete von konkreten Einzelfällen, die mir zugetragen wurden aus Hessen, Baden-Württemberg und aus Recherchen unserer Arbeitsgruppe Hamburg. Weil jeder für sich seine Quellen hat, können wir – jeder für sich – in etwa das Ausmaß eingrenzen. Niemand von uns hat behauptet, dass es jeden Tag passiert, niemand hat gesagt, dass die Täter eine quasi homogene Gruppe bildeten, aber wir haben gesagt: Jeder Fall ist einer zuviel. Und weil es am Ende doch viele Fälle waren, haben wir Forderungen gestellt, die die Generallinien antasten. Dass nämlich nicht zu übersehen ist, dass sich in einigen Aufnahmeeinrichtungen Hausordnungen etabliert haben, die mit unserem Gesellschaftsmodell nicht im Einklang stehen. Dass Wach- und Schutzleute eben nicht Schutz der Gemeinschaft ausüben, sondern den selbstgeschaffenen Hausordnungen zur Durchsetzung verhelfen wollen zulasten von Minderheiten unter den Flüchtlingen. Dass Flüchtlinge eben nicht nur in großen Zentren untergebracht sind, mit Wachschutz und Polizei in der Nähe, sondern eben viele durch kleine Gemeinden und Städte untergebracht werden, die einen Sozialarbeiter als Kontaktperson stellen, aber der nur von 8 – 17 Uhr anwesend ist, und ansonsten sind die Flüchtlinge unter sich und ohne geordneten Nachtschutz.

Was wäre so schwer, wenn man die Flüchtlinge befragt, welcher Religion sie angehören, und warum kann man diese Information nicht nutzen, Ausgleich in der Zusammensetzung von Flüchtlingen zu schaffen, damit nicht die eine Gruppe der anderen so ohne weiteres ihren Willen aufzwingen kann? Es wäre sicherlich einfach, den Rechtsstaat durchzusetzen, wenn alle Flüchtlinge wüssten, was das bedeutet. Doch die Vielzahl der unkontrolliert eingereisten Flüchtlinge wissen nicht, was uns der Rechtsstaat bedeutet, sie kennen aber die Ordnung in ihrer Heimat und versuchen danach zu leben. Das ist solange tolerabel, solange die Menschenrechte eingehalten werden und die Würde jedes Einzelnen geachtet wird. Es ist nicht tolerabel, wenn sich Flüchtlinge der Ordnung einer Mehrheit unterordnen sollen, durch die ihre Würde und ihre Menschenrechte und ihre Sicherheit und Unversehrtheit verletzt werden.

Ich habe beispielsweise mit jesidischen Frauen zu tun, die Leute des Islamischen Staats gekidnappt, versklavt, erniedrigt, vergewaltigt, verkauft, verschenkt, verliehen und getauscht wurden, um sie alleine und mit anderen sexuell zu missbrauchen. Diese Frauen haben Angst. Dass sie Angst vor Männern haben, ist nicht irgendein Trauma, das man soeben überwinden kann; sie haben ganz konkrete Angst vor muslimischen Männern, denn ihre Unterwerfung verbinden sie mit deren Auftreten. Diese Frauen müssen daher besonders geschützt werden, ihnen zuzumuten, dass sie mit muslimischen Männern auskommen müssen, dass sie über ihre anzüglichen Rituale hinwegsehen sollen, ist ihnen nicht zuzumuten – oder sind wir wirklich so herzlos geworden, dass wir sie der Angst aussetzen sollen? Ihre Beklemmungen abtun, als seien es Einbildungen? Inzwischen sind auch einige Angehörige nachgekommen, die auf normale Aufnahmeeinrichtungen verteilt werden. Wie sollen diese Menschen  damit klarkommen, wenn – wie in Michelstadt im Odenwald passiert – in einer dortigen Flüchtlingsunterkunft viele der dort Untergekommenen aus der syrischen Stadt Rakka stammen und ihre jesidischen Mitflüchtlinge damit begrüßen, dass sie dabei waren, als die jesidischen Frauen aus Shingal auf dem Markt verkauft wurden und sich darüber lustig machen? Rakka war und ist einer der IS-Umschlagplätze für den Verkauf von Sklaven des IS.

Pfarrer Dr. Martens hat mit Konvertiten zu tun. Auch wir haben mit Konvertiten zu tun, aber aus einem Blickwinkel des Menschenrechtlers: Wir verfolgen die Gesetzeslage, das Lavieren von Behörden, Politikern, Polizei, Staatsanwaltschaften und Richtern. Am Ende steht im geringsten Falle Haft, im schlimmsten Falle die Todesstrafe und ihre Vollstreckung; wir haben die Informationen über die gesellschaftliche Ausgrenzung, die Lügen über die angeblich freie Entscheidung, seinen Glauben zu wechseln – und es mag ja auch in einzelnen Fällen stimmen, aber wie sieht die Realität aus? Verurteilungen wegen Landesverrats, um doch ein Todesurteil fällen zu können. Und wir sind am Ende in der Regel in der Pflicht, doch ein Flugblatt und eine Petition machen zu müssen, in dem wir die Mitbürger um Hilfe bitten, damit sie Druck auf die Politiker ausüben, doch endlich den Weg des Gesprächs mit dem Unrechtstaat zu suchen. Pfarrer Dr. Martens berichtete uns, dass in seiner Gemeinde viele afghanische und iranische Konvertiten leben und viele in ihrer Heimat schon konvertiert waren und nicht hierherkommen, um sich ein warmes Plätzchen unter dem Deckmantel der angeblichen religiösen Verfolgung suchen, sondern dass sie viel aufgegeben haben und vor allem durchmachen mussten, das jedem vernünftigen Menschen klar ist, dass wir über Verfolgung sprechen müssen. Ein ganz zentraler Fall, den wir über sechs Jahre – man muss es so nennen – intensiv betreut haben, war der Fall des Pastors Youcef Nadarkhani. Wahrscheinlich sind Mitglieder dieser Gemeinde auch für ihn bei Mahnwachen vor der iranischen Botschaft eingetreten: Er hatte sich als junger Mann entschieden, dem Weg Jesus zu folgen und war zum Christentum konvertiert. 2006 wurde er zum ersten Mal verhaftet, nur zwei Wochen Haft. Dann im Mai 2009 verabschiedete das iranische Parlament ein Gesetz, wonach alle Kinder egal welcher Religionszugehörigkeit, am islamischen Religionsunterricht teilnehmen müssen. Er protestierte dagegen, und das wurde gewertet, dass er das staatliche Monopol der Kindererziehung in Frage stellte. Dann kam auch schon bald die Geheimpolizei, und im Oktober 2009 wurde er verhaftet. Man versuchte, ihn durch verschiedene Maßnahmen zum richtigen Glauben zurückzubringen. Man wolle ihn für verrückt erklären lassen, man verhaftete seine Frau Fatemah; man wollte den Eltern das Erziehungsrecht entziehen und die Kinder von einer muslimischen Familie erziehen lassen. Sein Anwalt wurde zu 9 Jahren Haft verurteilt und ausgepeitscht. Und schließlich wurde Nadarkhani zum Tode verurteilt, was vom Obersten Gerichtshof 2011 bestätigt wurde. Dem einen und anderen hier ist dieses Verfahren nicht unbekannt. Wir haben wirklich Druck gemacht und einige zigtausend Unterschriften gesammelt, damit sich unsere Regierung für ihn einsetzt. Sie hat es getan und das war erfolgreich. Im September 2012 wurde er freigelassen, aber in den Iran. Vor zwei Wochen wurde er wieder kurzzeitig inhaftiert. Was mit ihm in der Zukunft geschieht, weiß man nicht.

Pfarrer Dr. Martens ist Seelsorger und in dieser Eigenschaft ist er viel näher dran an dem Menschen im Flüchtling. Die Konvertiten unter den Flüchtlingen bringen die Erfahrung mit, was es heißt, eine Lebensentscheidung getroffen zu haben, die seine gesamte bisher vorhandene Welt der Beziehungen verändern wird, dass sie mit Verlust auf der ganzen Linie verbunden ist: materiell, die Beziehung zu seiner Familie und seinen Freunden betrifft. Er ist sich der Folgen seines Tuns voraussichtlich bewusst, nicht in allen Details, aber doch im Wesentlichen. Und wenn ein solcher Mensch entschieden hat zu fliehen und hier in unserem Gesellschaftssystem die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit setzt, dann haben wir ihm dabei zu helfen. Pfarrer Dr. Martens tut genau das. Er hilft den Bedrängten, den Suchenden, den Hoffenden. Er teilt sein Leben mit ihnen, und er weiß auch, dass er sich jeder Konsequenz sicher sein kann, die diese Aufgabe mitsich bringt. Pfarrer Dr. Martens scheut diese Konsequenz nicht, sondern er geht in die Höhle der Löwen, er stellt sich der Diskussion und den Problemen. Und vor allem:er hilft.

Darum, lieber Herr Dr. Martens, hat das Kuratorium der Stephanus-Stiftung für verfolgte Christen entschieden, dass Sie ein würdiger Preisträger sind. Darum erhalten Sie von uns diese Anerkennung.

Karl Hafen: Für den Vorstand der Stiftung

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