Ägypten

 

Christliche Müllsammler – Zabbalin

Bei den christlichen Müllsammlern in Kairos Armenvierteln

Die Höhlenkirche Sankt Sama’an der ägyptischen Hauptstadt Kairo, die die Kopten aus dem Müllviertel Manshiet Nasr besuchen, ist die größte Kirche im Nahen Osten. Bis zu 20.000 Gläubige können sich hier zum Gottesdienst versammeln. Manshiet Nasr ist das größte und bekannteste unter diesen Zentren.

Mehr als ein Jahrzehnt ist es nun her, aber dieser herbe Rückschlag bleibt unvergessen: Die Betroffenen waren damals richtig wütend über den Beschluss des Mubarak-Regimes, im Jahr 2009 rund 200.000 Schweine wegen der Schweinegrippegefahr zu töten. Der Schritt war sogar innerhalb der politischen Elite umstrittenen. Die Tiere wurden lebendig begraben, erstickten qualvoll. Die ökologischen Folgen waren nicht einmal durchdacht und die sozialen Auswirkungen wurden letztlich in Kauf genommen. Die Viehzucht brachte den Müllmenschen von Kairo, den Zabbalin, mehr als doppelt soviel Gehalt im Monat als danach ein. Und der organische Abfall der Metropole quoll nicht über.

Anhängern fanatischer Muslimgruppen war die Schweinezucht lange ein Dorn im Auge. Die Tiere gelten im Islam als unrein, ihr Verzehr ist Muslimen verboten. “Sauberkeit ist oberstes Gebot”, stand als Graffiti auf manchen Hauswänden – eine Anspielung.

Im größten Müllzentrum in Kairo, in Manshiet Nasr, rollen ohne Unterlass Pick-ups oder Eselkarren mit riesigen Plastiksäcken voller Abfällen an.

Die Vorfahren der Zabbalin sind überwiegend aus Mittelägypten in die Megametropole zugewanderte Kopten. Sie flohen vor Fanatismus und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit nach Kairo. Einst verrichteten muslimische Oasenbewohner ihre Aufgabe, sammelten organische Abfälle und verkauften diese als Brennmaterial an die Badehäuser. Als diese aber ihre Energieversorgung umstellten, verkauften die Müllhändler den Müll an die Schweine züchtenden Christen, die im Laufe der Jahrzehnte auch ein ausgeklügeltes System der Verwertung anderer Rohstoffe entwickelten. Seit dem grausamen Ende der Schweinezucht bleiben ihnen fast nur noch die Abfälle.

Zu Besuch in Kairos Stadtteil Moytamadeia, einem Armenviertel, gleich hinter dem schicken Geschäftsviertel Mohandessin. Wir schauen uns um. Hier trennen die Müllarbeiter die Abfälle, ohne Schutzkleidung, meist nur mit Schlappen an den Füßen, mitten im Abfallhaufen voll Glasscherben und Krankheitserregern stehend.

Die Recyclingquote liegt über der deutschen Rate, schätzungsweise ein Drittel des gesamten Mülls in Kairo – eine sehr wertvolle Arbeit. Doch weder der Staat noch die Gesellschaft spiegelt ihnen das wider. Weil sie im Schmutz leben und wenig gebildet sind, so erfahren wir vor Ort, blickten viele Ägypter auf sie herab.

Auf einer Schutthalde zwischen Backsteinrohbauten türmen sich Weißblechdosen, die unter der Hitze einen lehmig-schimmligen Geruch verbreiten. Auf einem benachbarten Areal stapfen Ziegen und Gänse durch vergammelte Speiseabfälle. Die heiße Luft ist von einem säuerlich-beißendem Geruch erfüllt. Rostige Transporter und Eselskarren, die immer mehr Abfälle heranfahren, wechseln sich ab. Die Schweine, die früher davon fraßen, fehlen.

„Wie damals so sind wir auch jetzt wieder in einer Krise, in der viele mich schon wieder gefragt haben, ob sie das Schulgeld in Raten zahlen können“, berichtet der Direktor Shehata der privaten El-Salam-Schule. Seit ihres Beginns Anfang 2020 wirkt sich die Corona-Pandemie auch wirtschaftlich aus. Und dabei sind die Gebühren für die überwiegend koptischen Schülerinnen und Schüler an dieser Privatschule ohnehin schon niedrig, Die größtenteils von deutschen Sponsoren geförderte Einrichtung ist die einzige Möglichkeit im Umkreis für Zabbalin-Kinder, zwischen Vorschule und Hauptschulabschluss zu lernen, Lesen, Schreiben, Rechnen etwa und auch von Anfang an Englisch.

Insgesamt leben im Einzugsgebiet mehr als 20.000 Menschen; etwa 5.000 bis 10.000 von ihnen arbeiten im Abfallrecycling.

Die Arbeitsbedingungen und die Lebenssituation sind vielfach schockierend, ist dort zu erfahren. „In den Sortierbereichen sah ich schon eine Mutter mit fünf kleinen Kindern, die ihr Frühstück im Müll einnahmen, oder bei anderer Gelegenheit eine Mutter, die ihren Kindern abgenagte Knochen aus einer Tüte in den Abfällen reichte“, sagt Sebastian Drabinski. Der deutsche Geograph arbeitet als Projektleiter bei der „Kooperative zur Entwicklung der Umwelt in Moytamadeia“. Sie wurde 1981 von der deutschen Ordensschwester Maria Grabis gegründet.

Der Lockdown und vor allem die Reisebeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie drängen die Menschen in Moytamadeia weiter an den Rand ihrer Existenz: „Viele Menschen, die dort leben, sind Tagelöhner und leben so von der Hand in den Mund. Je nachdem, welche Route sie abfahren, finden sie jetzt auch weniger Abfälle vor: Ein Hotel in Kairo, das keine Gäste mehr beherbergt, produziert auch keine Abfälle mehr“, erklärt Drabinski.

Die Stephanus-Stiftung unterstützt in Kooperation mit anderen Organisationen die Schul- und Weiterbildung der jungen Menschen in diesem Viertel. Mit 200,- Euro im Jahr sichern Sie einem Kind den Schulplatz. Spendenkonto: Spendenkonto IBAN DE61 7509 0300 0007 1161 10 bei der Liga Bank; Stichwort: Schulausbildung in Ägypten.

 

Fotos: M. Koller

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