Indien

 

Berufsbildung für junge Frauen

Zurück zum Ursprung ihrer Berufung in Indien:

Unterwegs mit Schwester Hatune Dogan – Trägerin des Stephanus-Sonderpreises 2012

„Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25,40)

„Die Braut heißt Ann Susan. Sie ist die einzige Tochter und ihre Mutter hat von ihrer Geburt an jeden Monat ein Gramm Gold für sie aufbewahrt, für ihre Aussteuer“, berichtet Schwester Dogan lachend. Sie hat uns vor einiger Zeit aufgefordert, sie nach Indien zu begleiten – zu einer Hochzeit. So ein Ereignis dort zählt zu den Dingen, bei denen sich viel Aufwand lohnt, um sie einmal erleben zu können.

Also sind wir in den südindischen Bundesstaat Kerala gereist, an die Malabar-Coast, die sogenannte Pfefferküste Indiens. Die syrisch-orthodoxe Schwester hat nicht zu viel versprochen: Wir sehen eindrückliche Rituale und prächtige Roben, hören romantische indische Musik. Die Reise führt uns nicht nur in eine exotische Welt, sondern vielmehr zurück zu den Wurzeln, zu den Anfängen des Christentums sowie ihrer eigenen Berufung im Jahr 1999.

Interview mit Schwester Hatune Dogan – Indische Hochzeit – YouTube

Die christliche Religionsgemeinschaft ist in Indien die drittgrößte nach dem Hinduismus und dem Islam. Hier ist das Christentum älter als viele Kirchen in Europa. Die Ausdehnung des christlichen Glaubens erfolgte hier entlang jüdischer Siedlungen. Mit der griechisch-römischen Kulturwelt bestand bereits 1.000 Jahre vor Christi Geburt ein reger Handel mit Gewürzen über das Arabische Meer hinweg. Ab dem 5. Jahrhundert vor Christus siedelten hier auch jüdische Händler. Noch heute leben Juden in der alten Hafenstadt Kochi. Thomas, einer der zwölf Apostel, kam der Überlieferung zufolge im Jahr 52 an die Malabarküste. Und er brachte die Botschaft von der Erlösung durch Jesus Christus mit zu den jüdischen Gemeinden, aber auch zur Hindu-Urbevölkerung. In manchen Distrikten findet man einen christlichen Anteil von bis zu 40 Prozent vor.

Um das Jahr 350 zogen 72 Familien chaldäischer Judenchristen mit ihrem Führer, dem reichen Kaufmann Thomas von Kinayi, und mit mehreren Klerikern aus ihrer Heimat nahe Bagdad an die Pfefferküste. Bei den Christen in Indien bemerken wir bald: Indisch ist ihre Kultur, christlich ihre Religion und syro-orientalisch ihr Ritus.

Einer der Nachfahren der christlichen Urbevölkerung ist T. O. Aleyas, ein wichtiger Unterstützer der Aktivitäten der Schwester-Hatune-Stiftung. Er ist der Vater der Braut und wir sind zu Gast in seinem Ayurveda-Resort. Bei der Brautfamilie wird traditionell am Abend vor der Hochzeit gefeiert.

„Dass wir heute hier sind, hängt auch damit zusammen, dass meine totale Entscheidung in Kottayam angefangen hat“, sagte Schwester Hatune weiter. Sie sei zuvor Lehrerin gewesen und habe sich nur nebenbei karitativ engagiert, bis sie eines Tages eine Einladung nach Indien erhielt, an einem ökumenischen Institut ein Vortrag zu halten. Sie erinnert sich noch genau: „Und da war der Parkplatz des Green Park Hotels, wo 14 Familien in Hütten unter Reissäcken gelebt haben. Es war Oktober und noch Regenzeit. Da war so eine Kuhle von Bett unter diesen Säcken und ich habe vom Fenster aus gesehen, dass da ein Kind im Wasser schläft. Und dann suchten die Eltern etwas, haben einen flachen Stein gefunden, haben die Füße des Kindes hochgehoben und den Stein darunter geschoben, damit der Körper des Kindes nicht im Wasser welkt“. Das war wohl der Moment, der sie nicht mehr losließ. „Und bei diesem Anblick sprach ich zu Gott: Was willst Du mir damit sagen? Da kam mir dieser Bibelspruch oder -vers in den Sinn, Matthäus 25,40: Was Du dem Geringsten meiner Brüder getan hast, das hast Du mir getan.“

Damals gelobt sie, ihr Leben in Christi Hände zu geben. Der Bibelvers, der ihr damals in Kottayam in den Sinn kam, wurde zu ihrem Lebensmotto. Schwester Hatune begann zu helfen, wo die Not am größten ist. Aber nicht nur das: Die Trägerin des Stephanus-Sonderpreises von 2012 bewegt seither viele Menschen, ihren Wohlstand mit den Bedürftigen zu teilen: „Und so versuchen wir, den Menschen zu geben, was sie brauchen, den Ärmsten der Armen“.

Am Tag zuvor haben wir die Schwester nach Ranni begleitet und dort einen Brunnen besichtigt. Bei dem Besuch deutet ein Mann mit freiem Oberkörper wiederholt auf seinen Hals. „Der Mann nimmt seither sehr viel Medizin. Er hat drei Kinder, seine Frau und seine Mutter im Haus. Wir wollten dem Mann, der so leidet, speziell helfen, damit er mit einer Pumpe fließendes Wasser bekommt“, erklärt uns Schwester Hatune. „Wir haben diese Familie besucht. Sie haben Land bei ihrem Haus für den Brunnen zur Verfügung gestellt. Der Brunnen ist eine Spende und er kann nun sein Land bewässern. Zugleich ist er offen für andere Bewohner der Gegend, die auch kein Wasser haben“, fährt sie fort. Die Stiftung helfe nicht nur dieser Familie, sondern auch anderen mit Spenden. Für 500 Euro eröffnet sie einen Brunnen für etwa 60 Familien. „Ich bin nur eine Brücke“, betonte die Schwester.

Woher auch immer Schwester Hatune Dogan einen Hilferuf vernimmt, geht sie ihm nach. So ist die syrisch-orthodoxe Schwester ein Global Player geworden. Inzwischen ist die „Schwester-Hatune-Stiftung – Helfende Hände für die Armen“ in 43 Ländern mit Hilfe von rund 7.000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern präsent.

Die Türen öffneten sich wie von selbst. Ihre Arbeit sei in der Bibel verwurzelt und Gott wirke da hinein. „Deshalb bin ich nur ein Instrument. Und darum bin ich glücklich, so ein kleines Instrument in seinem Garten zu sein, unseres Herrn Jesus Christus“, sagt sie freudig.

Schwester Hatune initiiert, motiviert und vernetzt international. Unermüdlich. Ihre Zuwendung findet vielfach Nachahmung. Es sind bislang schon mindestens 5.000 Helfer weltweit, die sie dabei ehrenamtlich unterstützen. Und es werden zunehmend mehr, auch über Glaubensgrenzen hinweg, aus Mitgefühl mit den Armen oder von schweren Krankheiten Geplagten. In Äthiopien wolle sich eine Initiative von 2.000 Engagierten der Schwester-Hatune-Stiftung anschließen. Dann wären es schon 7.000 ehrenamtliche Mitarbeiter.

„Dafür bin ich dankbar. Sie sehe sich nur als ein Werkzeug, eine Brücke oder eine Stimme für die, die keine Stimme mehr haben, eine Vermittlerin zwischen den Armen und Reichen, der Barmherzigen und der Opfer. „Und ich bin die glücklichste Frau der Welt“, verrät sie.

Das Wirken der Schwester-Hatune-Stiftung richtet sich an Menschen, deren Grundbedarf ungerechterweise nicht gedeckt wird, Menschen, denen Bildung vorenthalten wird. Sie nimmt verfolgte Christen, Opfer von Bürgerkrieg, Terror und Diskriminierung in den Blick. Überall, wo Schwester Hatune Dogan und ihre Helferinnen und Helfer die Ärmel hochkrempeln, wenden sie sich auch besonders den jungen Mädchen und Frauen zu. In vielen Ländern der Erde werden sie benachteiligt, und ihre Menschenwürde wird verletzt.

In dem Dorf Ranni besuchen wir mit der Schwester eine Einrichtung zur Berufsbildung für junge Mädchen und Frauen ab 16 Jahren. Es ist der Tag der Zeugnisausgabe. Nicht allein praktische Fähigkeiten werden ihnen dort vermittelt. Sie erwerben auch wichtige soziale Kompetenzen, etwa Reden vor Publikum, wie eine junge Absolventin bekennt. „Ich konnte überhaupt nicht vor einer Versammlung sprechen, brachte gar nichts heraus. Und jetzt stehe ich hier vor Euch“, bekennt in einer kurzen Begrüßung eine schmächtige junge Frau.

Unter den sieben Millionen der Ärmsten der Armen, die die Schwester-Hatune-Stiftung erreicht, liegen ihr die Mädchen und jungen Frauen besonders am Herzen. „“Weil ich selbst Flüchtling war, weil ich selbst unterdrückt war. Ich war nicht arm, aber ich kann mich in den Armen hineinversetzen“, begründet sie dies. Viele müssten nicht nur ihre Ausbildung, sondern schon ihre Grundschule abbrechen, weil die Eltern für sie keine Schuluniform bezahlen möchten. „Gott sei Dank haben wir seit 2003 mit diesen Schulen, Instituten oder Berufsschulen angefangen und das lief sehr gut und läuft auch sehr gut“, sagt sie.

Die Mädchen werden in der Regel verheiratet und wenn sie nichts in die Ehe als Aussteuer mit einbringen, misshandeln sie die Familie der Ehemänner oftmals. „Sie hatten keine Chance, wie ein Mensch zu leben, sondern haben sich immer gefürchtet und geschämt. Bei der Ausbildung haben sie Gemeinschaftsleben gelernt. Sie sagen immer: Wir wurden von der Dunkelheit ins Licht gebracht“, schildert uns die Schwester.

Rückschläge wie Naturkatastrophen, etwa die Flut in Indien im Sommer 2018, können Schwester Hatune und ihr Team nicht unterkriegen. Ob Krisen- oder gar Kriegsgebiete: Kein Fleck der Erde ist für Schwester Hatune Dogan tabu. Das brachte sie schon manchmal in große Gefahr. Sie wurde beschossen und bedroht.

Ich mache das weiter, so lange ich lebe. Egal, wo auf der Welt, wo Not, Hunger und Krieg ist, die Frauen sind die Ersten, die darunter leiden“, sagt Schwester Hatune. Sie bitte wiederum um Unterstützung ihrer Sendung. Die Stephanus-Stiftung für verfolgte Christen kommt dem gerne nach.

Sehe Sie hier im Film, wie Schwester Hatune Dogan ihr Angebot für Berufsausbildung in Changanassery im indischen Bundesstaat Kerala vorstellt. Die Stephanus-Stiftung für verfolgte Christen unterstützt sie dabei mit dem Johanna-Chusa-Stipendium:

Lesen Sie hier Schwester Hatunes Worte nach.

„Ich bin mit Michaela Koller hier in unserem Zentrum in Tur Abdeen Village. Das ist 2013 eröffnet worden. Wir haben das Land erworben. Das ist das Zentrum für die „Schwester-Hatune-Stiftung – Helfende Hände für die Armen“ für Indien und die asiatischen Länder. Hier haben wir jetzt eine Computerschule, Berufsschule, und eine Nähschule sowie eine Paramentenstickerei oben. Hier laufen normalerweise tagtäglich 150 Leute durch, die hier rein- und rausgehen und lernen. Diese Schülerinnen bilden eine Vormittagsgruppe; es gibt auch eine Nachmittagsgruppe. Das heißt, dass sie die Zeit teilen. Das läuft über sechs Monate als Intensivkurs, jeden Tag außer Sonntag und Samstag.

Sie werden dazu von den Panjais und von unserem lokalen Team der Stiftung ausgewählt, unter den Ärmsten der Armen, damit sie einen Beruf haben. Diese Schülerinnen mussten im Kindesalter ihre Schule abbrechen, weil sie Mädchen sind und ihre Familien sehr arm sind. Und so haben sie im Moment die Chance, etwas nachzuholen und eine Berufsausbildung zu erhalten, als Computerexpertinnen oder als Sekretärinnen. Viele von ihnen eröffnen ein Internetcafé auf der Grundlage dessen, was sie hier lernen. Wir geben Chancen.

Wir hatten 24 solcher Berufsschulen. Leider sind durch die Überflutung im August 2018 von diesen 24 uns nur vier geblieben. Jetzt versuchen wir, sie wieder aufzubauen. Ich habe hier und da einmal Spenden von Computern als Sachspenden erhalten. Andernorts habe ich 52 Nähmaschinen dazugekauft.

Ich habe jetzt wieder Geld in Höhe der Preise mehrere Nähmaschinen mit dabei, damit diese jetzt hier auch kaufen können. Wir versuchen, alles wieder aufzubauen. Wir können nichts dafür, dass es eine Überflutung gegeben hat.

Hier hat das Wasser drei Meter hoch gestanden, wochenlang auf dem Boden. Hier ist alles wieder aufgebaut worden. Es war alles zerstört hier. Und die anderen lagen höher, so gelangte das Wasser dort nicht hin, etwa im dritten Stock. Wir benötigen weiterhin unbegrenzte Unterstützung, damit wir alles wieder ins Leben rufen können. Diese Schule läuft seit 2013. Diese und die anderen laufen ohne Unterbrechung weiter. Unser Ziel ist es, die Situation speziell der Mädchen und Frauen zu verbessern, weil sie sehr benachteiligt sind. Wenn die Mädchen heiraten, fällt die Aussteuer, die erwartet wird, sehr hoch aus, woher die Benachteiligung rührt. Wir möchten ihnen die Chance geben, dass sie selbst ihr Brot verdienen können und nicht abhängig werden.

Aus diesen Gründen versuchen wir, nur den Mädchen eine Ausbildung anzubieten. Am Anfang gab es auch Klempnerklassen bei uns, die ich aber nach einem Jahr oder Semester abgeschafft habe. Ich habe bemerkt, dass die Männer überall Chancen haben, aber die Mädchen eben nicht. Deshalb haben wir entschieden, dies nur Mädchen diese Chance anzubieten. Ich bedanke mich bei allen Spendern.

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