Trägerin des Stephanuspreises 2017
Aula der PT Hochschule Sankt Georgen Frankfurt, 25. März 2017
Michaela Koller, Vorstandsvorsitzende der Stephanus-Stiftung für verfolgte Christen

Die Schönheit der Gerechtigkeit

„Brich dem Hungrigen dein Brot, die im Elend sind, führe ins Haus; wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh’ dich nicht deinem Verwandten. Alsdann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Besserung wird schnell wachsen, und deine Gerechtigkeit wird vor dir her gehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird hinter dir her ziehen.“
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Stephanus-Stiftung! Gerade haben wir noch die musikalische Definition von Schönheit, die Arie der Venus aus der Oper Creazione von der Komponistin Gloria Bruni selbst vorgetragen bekommen. Was ist aber hier mit Herrlichkeit gemeint? Nicht an Ruhm, durch laut tosenden Beifall begleitet, ist gedacht, noch an eine Berühmtheit, durch viele tausende Follower oder Abonnenten bestätigt, an keinen Ruf, der Arenen oder Hallen füllt. Die eingangs zitierten Worte aus Jesaja (Kapitel 58,7-8) verweisen den Leser auf guten, wahren und schönen Glanz. Nein, dieses Licht ist nicht von der Zustimmung in dieser Welt abhängig. Im Gegenteil: Die Welt kann sogar einen ganz anderen Blick auf den Gerechten haben.

So erging es Ranjha Masih, dem ersten Träger des Stephanuspreises für verfolgte Christen, der im Jahr vor der urkundlichen Gründung der Stiftung im Jahr 2007 verliehen wurde. Unter falschem Verdacht, Gotteslästerung, also Blasphemie, begangen zu haben, saß Ranjha vom 8. Mai 1998 bis zum 14. November 2006 in Einzelhaft, zeitweise in der Erwartung seiner Hinrichtung. Die Stephanus-Stiftung feiert in diesem Jahr am 8. November ihren zehnten Geburtstag und so habe ich mich bei meiner jüngsten Reise nach Pakistan darum bemüht, unsere früheren Preisträger dort zu suchen und nach ihnen zu sehen. Ranjha Masih ist inzwischen verstorben, er lebte nur weniger als drei Jahre nach seiner glücklichen Freilassung. Und die Familie war sehr schwer zu finden. Es war unsere heutige Preisträgerin, die pakistanische Menschenrechtsanwältin, selbst katholische Christin, Aneeqa Maria Anthony, der es gelang, die Witwe Rasheeda Bibi und ihren Sohn Mubarik Masih ausfindig zu machen. Was war geschehen? Ich zitiere, was der Sohn mir berichtete: „Nach seiner Freilassung erhielten wir Morddrohungen und wurden wiederholt angegriffen, geschlagen, beschimpft.“ Die Ausgrenzung, der Rückzug, all das habe dazu beigetragen, dass die Familieneinkünfte knapp blieben. Auf dem Rückweg vom Büro einer Hilfsorganisation, die er um Unterstützung ersucht habe, sei Ranjha Mitte Juni 2009 auf einem Markt zusammengeschlagen und gefährlich verletzt worden. „Ich bin drei Stunden zu Fuß gelaufen, um Geld für die Behandlung zu besorgen“, erinnerte sich Mubarik. Vergeblich. Sie mussten den Familienvater aus der Klinik abholen, nach Hause bringen, wo er am 14. Juni 2009 seinen Verletzungen erlag. Nur zur Erinnerung: Ranjha Masihs Martyrium hatte am Tag der Beisetzung von Bischof John Joseph begonnen, am 8. Mai 1998, als eine Menge trauernder Christen durch die Straßen zog und er unter ihnen willkürlich beschuldigt wurde, ein Schild mit einem Koranzitat durch einen Steinwurf beschädigt zu haben. Wegen dieses zeitlichen Zusammenhangs ist dieser Fall immer noch sehr prominent.

Erst am 26. April 2003 kam es zu einem ersten Gerichtsurteil, zunächst zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe. Am 10. November 2006 wurde er schließlich freigesprochen. „Masihs starker Glaube hat ihm eine Anerkennung durch die Stephanus-Stiftung eingebracht, die ihm im Mai wegen der Unerschütterlichkeit, mit der er zu seinem Glauben stand, einen Preis verlieh“, heißt es in einer Meldung von Asia News über die Freilassung. Der am 2. März 2011 ermordete pakistanische Minderheitenminister Shahbaz Bhatti hatte Masih im Dezember 2002 im Zentralgefängnis von Faisalabad besucht und bezeugt, dass der fälschlich der Blasphemie Angeklagte folgende Worte sprach: „Ich wäre glücklich, wenn das Opfer meines Lebens dazu beitragen könnte, dieses schwarze Blasphemiegesetz abzuschaffen, obwohl ich fälschlicherweise da hineingezogen und für ein Verbrechen bestraft wurde, das ich nicht begangen habe. Die Gebete meiner Brüder und Schwestern in Christus stärken mich.“ Entschlossen hat mir Aneeqa Anthony zugesichert, sich künftig um die Familie unseres ersten Preisträgers zu kümmern.

Sehr geehrte Damen und Herren, Ranjha Masih war ein kleiner Angestellter und Höker, ein fliegender Händler. Alle Preisträgerinnen und Preisträger, die danach folgten, mussten zunächst einmal die Bescheidenheit beweisen, in die Fußstapfen eines einfachen, armen, wenig gebildeten Mannes zu treten, der bis zu seinem zu frühen Tod knapp bei Kasse blieb. Niemand hat uns gefragt, welche Staatsoberhäupter, Bestseller-Autoren oder Ticketkassenmagnete auf unserer Preisträgerliste stehen, denn es war allen klar: Ranjha Masihs Gerechtigkeit ging ihm voraus und die Herrlichkeit des Herrn zog hinter ihm her.

Unsere heutige Preisträgerin ist erst 35 Jahre alt, sie füllt keine Titelgeschichten in den Gazetten dieses Landes, aber sie hat uns viel mehr zu sagen, als viele andere, die dies tun: Da wäre zum einen die Warnung vor einer Rechtsauffassung, von einem Begriff von Gerechtigkeit, der so verdreht ist, dass er Vergeltungshunger, Willkür und der Herrschaft des Stärkeren über die Verletzlichsten Tür und Tor öffnet, die Sünde mit Straftat verwechselt und sie mit samt dem Täter auszurotten versucht, weil ihr Dogma keine Beschämung erlaubt, keine Umkehr, und so auch kein Verzeihen und kein Versöhnen ermöglicht. Die den Irrtum verbreitet, dass sich die Wahrheit nur durch Unterwerfung durchsetze. Diese Auffassung machte sich seit Herbst 2015, während der deutsche Michel fest schlief, sogar in deutschen Erstaufnahmeeinrichtungen breit. Menschenrechtsorganisationen, von denen Vertreter im Vorstand der Stephanusstiftung sitzen, ist es zu verdanken, dass Politik, Kirchen und Betreiber sowie Leitungen der Heime überhaupt sensibilisiert wurden und auf orientalische Christen, Jesiden, Frauen oder besonders Konvertiten mehr geachtet wird, mehr für ihren Schutz getan wird.

Foto: Martin Warnecke

Die Weltanschauung, von der ich spreche, entspringt einer wörtlichen Auslegung des Koran. „Die radikale Vision des Wahhabismus breitet sich in Asien, Afrika und überall aus“, wie der international bekannte Islamwissenschaftler, der ägyptische Jesuitenpater Samir Khalil Samir mir neulich noch sagte. Er begrüßt Tendenzen zur Erneuerung der Gesetze der Scharia und die überfällige, vernunftgeleitete Auseinandersetzung mit Koranpassagen, die von Gewalt berichten. Die religiöse Kultur Pakistans ist zunehmend arabisch beeinflusst, wahhabitisch-ideologisch sowie kulturell. Darauf macht mich unsere Preisträgerin Aneeqa Anthony regelmäßig aufmerksam: So werden persische Lehnwörter religiöser Begriffe wie Namen von Festtagsgrüßen oder Abschiedsworten seit der Islamisierungskampagne des früheren Militärdiktators Zia ul-Haq im Urdu durch arabische Ausdrücke ersetzt. Folgen wir der Spur des Geldes: Im Finanzjahr 2015 bis 2016 flossen, Angaben der pakistanischen Staatsbank zufolge, 5,9 Milliarden US-Dollar an Überweisungen aus Saudi-Arabien nach Pakistan, mehr als aus jedem anderen Land der Welt. Das wahhabitische Regime ist dafür bekannt, mit der Drohung, Unterstützung zu entziehen, Politik zu betreiben, wie mir Pater Samir weiter bestätigte. Den Westen hält die Steuerung der Radikalisierung aus Riad nicht davon ab, gute militärische und wirtschaftliche Beziehungen zu unterhalten, wo öffentliche Hinrichtungen mehrere hundert Mal im Jahr nach dem Freitagsgebet stattfinden. Der Euro-Mediterran-Arabische Länderverein, kurz EMA, angeführt von seinem Präsidenten, dem ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, reiste vom 28. bis 31. Januar 2017 mit einer Wirtschaftsdelegation, die 28 Teilnehmer umfasste, nach Saudi-Arabien. „Die Reise … diente dem Zweck, Kontakte zwischen deutschen und saudischen Unternehmen zu knüpfen“, wie es in einem Bericht darüber heißt. Genügend deutsche Firmen, unter anderem Liebherr und DHL, betreiben dort schon ihr Geschäft.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Einfluss des Wahhabismus auf die Atommacht Pakistan ist fatal: Bald könnte, wenn das Bevölkerungswachstum sich so weiterentwickelt, dieser Staat das bevölkerungsreichste islamische Land der Welt sein, Indonesien mit seinen rund 200 Millionen Muslimen in diesem Superlativ überrundet haben. Schon jetzt leben mehr als 185 Millionen Muslime in Pakistan. Ein Indikator, der uns aufschrecken lassen sollte, ist die zunehmende Gewalt: Zwangsverheiratung und Zwangskonversion, häusliche Gewalt und Vergewaltigung, Kinderarbeit, moderne Sklaverei, Folter und religiös begründete Angriffe auf Leib und Leben und immer wieder fadenscheinige Blasphemievorwürfe. Das sind all die Arbeitsfelder, gegen die sich Aneeqa Anthony unermüdlich, selbstlos und in ständiger Gefahr für ihr eigenes Leben einsetzt. Sie engagiert sich besonders für bedürftige und benachteiligte Schülerinnen und Schüler sowie Waisenkinder, ebenso wie für Frauen, die sie aufgrund ihrer Benachteiligung gerne als „größte Minderheit im Land“ bezeichnet.

Lassen Sie mich von einem Beispiel berichten: Am 23. November vorigen Jahres geschah das Unerwartete durch ein pakistanisches Anti-Terror-Gericht: Erstmals ist mit der Verhängung von Höchststrafen gegen fünf Männer nach einem religiös motivierten Lynchmord Gerechtigkeit erfolgt. Sie hatten am 4. November 2014 zur Gewalt gegen Shahzad Masih (28) und seine schwangere Frau Shama Bibi (26) eine Menge angestachelt. Das Christen-Paar wurde öffentlich beschuldigt, Seiten aus einer Koranausgabe verbrannt zu haben. Wie Sklaven arbeiteten sie in einer Ziegelei. Der fanatisierte Mob packte sie, zerrte sie um die Felder, schlug sie und brach ihnen die Beine, und stieß sie anschließend in einen Ziegelofen, wo sie verbrannten. Der Fall sorgte international für Aufsehen. Als „barbarischen Akt“ bezeichnete seinerzeit Kardinal Jean-Louis Tauran die Tat und forderte islamische Autoritäten auf, die Tat zu brandmarken.

Aneeqa Maria Anthony vertritt vor Gericht die Interessen der drei überlebenden Kinder, zwei Mädchen und ein Junge, die vor den Fanatikern in Sicherheit gebracht werden konnten. Die jüngste, Poonam, begeht demnächst ihren vierten Geburtstag, die Mittlere, Sonia, ist fünf Jahre alt und der nunmehr achtjährige Sohn Salman war zur Tatzeit sechs Jahre alt und hat alles mit ansehen müssen und verstanden. Als ich im Februar in Pakistan war, lag er gerade wegen einer Wundinfektion im Krankenhaus, wo ich ihn mit Frau Anthony besuchen durfte. Er starrte verängstigt auf die roten Flecken seines Beines. Frau Anthony kümmert sich rührend um die Kinder, was weit über das Maß einer rechtlichen Interessenvertretung hinausgeht. Das hat mir auch der Großvater der Kinder, Mukhtar Masih, bei dem sie jetzt leben, auf Nachfrage bestätigt. Als ich vorige Woche wieder einmal im Zuge der Vorbereitungen Frau Anthony anrief, besuchte die Familie sie gerade. Über einen Videoanruf konnte ich mit Salman sprechen, den ich dabei erstmals lächeln sah.

Mein sehr geehrten Damen und Herren, dies ist auch das erste Mal in der Geschichte der Blasphemiegesetze, dass Lynchmorde an Christen vor Gericht bestraft worden sind. Das ist nicht nur Ergebnis der Hartnäckigkeit Frau Anthonys, sondern auch ihres Mutes, denn mitten im Verfahren, im Dezember 2015 tauchte schließlich ein Mordaufruf an öffentlichen Plätzen in Lahore auf. Sie gehe gegen Pakistans Blasphemiegesetze vor, hieß es. Am 4. Januar 2011 war schon der Provinzgouverneur vom Punjab, Salman Taseer, infolge eines solchen Vorwurfs ermordet worden. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte bemühte sich damals um Aufnahme unserer heutigen Preisträgerin in Deutschland. Das Auswärtige Amt lehnte den Schutz der Menschenrechtsverteidigerin mit der Begründung ab, dass sich ihre Gefährdung nicht von der anderer Angehöriger der christlichen Minderheit unterscheide, die 2,7 Prozent unter insgesamt vier Prozent Nicht-Muslimen des Landes ausmacht.

Das wirkt zynisch: Allein aufgrund des Verdachts der Gotteslästerung ereigneten sich bereits mehrfach seit Einführung der Blasphemie-Gesetze in den achtziger Jahren unter Präsident Zia ul-Haq, auf deren Grundlage überproportional viele Angehörige von religiösen Minderheiten verfolgt werden, Lynchmorde und Vergeltungsakte gegen Kritiker. Der prominenteste Fall ist die Ermordung des pakistanischen Minderheitenministers Shahbaz Bhattis am 2. März 2011. Wegen seines Einsatzes für die wegen Blasphemie zu Tode verurteilte fünffache Familienmutter, Asia Bibi, die wie er selbst christlichen Glaubens ist, geriet er ins Fadenkreuz. Das Attentat ereignete sich zwei Monate nach der Ermordung des Provinzgouverneurs Salman Taseers durch dessen Leibwächter Mumtaz Qadri. Der Mörder wird noch immer von Fanatikern frenetisch gefeiert. In Islamabad wurde 2014 eine Moschee nach ihm benannt, die regelmäßig überfüllt sein soll. Der Richter, der ihn zum Tode verurteilte, musste wegen Drohungen außer Landes fliehen.

Die Lage war gefährlich für Aneeqa Anthony. Sie ist Familienmutter und musste mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern von Versteck zu Versteck ziehen, immer in der Angst, entdeckt zu werden. „Ein Mitarbeiter wurde zur Warnung zusammengeschlagen“, berichtet Anthony. Via Kurznachrichten hielten wir Kontakt zu ihr, während sie sich im Verborgenen aufhielt. Von dort schrieb sie: „Dabei habe ich nicht Angst um mich, denn ich nehme dies freudig als Lohn für meine Arbeit und für jene Brüdern und Schwestern in Christo an, die noch mehr Leid durchmachen. Aber alles, worum ich mir Sorgen mache, ist meine Familie, meine alten Eltern und meine kleinen Kinder. Ich habe keine Ahnung, wie ich sie vor dem Leid bewahren soll, es ist ja nicht ihre Schuld.“ Wir versuchten weiterhin, ein Visum für Frau Anthony zu bekommen, um sie wenigstens für einige Zeit aus der Situation herauszubringen. Ein Schreiben an den Präfekten des Päpstlichen Hauses, Erzbischof Georg Gänswein, mit der Bitte um die Möglichkeit für Frau Anthony, dem Papst persönlich zu begegnen, half weiter. Ich war überglücklich, sie schließlich mitten auf dem Petersplatz knapp eine halbe Stunde vor Beginn der Audienz in die Arme schließen zu können. Anthony erhielt die Gelegenheit, mit Papst Franziskus im Rahmen der Audienz über den Lynchmord-Fall zu sprechen. Sie überbrachte ihm einen bemalten Ziegelstein als Symbol der Unterdrückung vieler Christen in ihrer Heimat, die in Ziegeleien in der Sklaverei ähnlichen Verhältnissen schuften. Die drei Waisenkinder hatten ihn gestaltet.

Anthony, am 25. April 1981 in der Hauptstadt des Punjab Lahore geboren, begann als Hochbegabte frühzeitig mit einem Studium der Englischen Literatur, Soziologie und Journalismus an der University of Punjab, das sie 2002, im Alter von 21 Jahren, mit einem Master als akademischen Grad beendete. Bereits ein Jahr darauf gelang ihr der Abschluss in Rechtswissenschaft, wobei sie Strafrecht als Schwerpunkt wählte. Sie war im Anschluss Dekanin an der ersten christlichen Hochschule für Jura, dem Trinity Law College, und zugleich Beraterin bei der ersten Rechtshilfeorganisation, die sich der Blasphemie-Opfer annahm, also fälschlich der Gotteslästerung Beschuldigte verteidigte. Sie war bereits als Berufsanfängerin auf dem Weg zu ihrem ersten Mandanten von einem Mob umzingelt worden und nur mit Glück entkommen. Die Menge wollte sie als Anwältin eines angeblichen Gotteslästerers mit Gewalt aufhalten. Als Studentin gründete sie bereits ihre eigene Organisation für rechtliche und humanitäre Hilfe, The Voice Society. The Voice Society bietet Benachteiligten kostenlose Rechtshilfe an, ein großes Netzwerk von spezialisierten Anwälten wie Aneeqa Anthony steht ihnen zur Verfügung. Sie verbindet dies mit der humanitären Hilfe für Bedürftige und Bedrängte unter einem Dach.
Drei Anschlägen auf ihr Leben ist die 35-Jährige bereits knapp entkommen und bereits zweimal wurde sie derart bedroht, dass sie für eine Weile untertauchen musste: Erstmals geschah dies im August 2008, nachdem Anwaltskollegen versucht hatten, sie durch Blasphemie-Verdächtigung auszuschalten. Sie floh außer Landes, fand Aufnahme in Deutschland im Rahmen eines Schutzprogrammes für Menschenrechtsverteidiger. Die Zeit nutzte sie, um bei der IGFM ihre Expertise in bilateraler Projektarbeit zu vertiefen und kehrte nach neun Monaten wieder zurück in ihre Heimat, um sich dort voller Energie mit ihrer eigenen Organisation für die Besserung der Lage der Benachteiligten einzusetzen. Auf die Frage, woher sie die Kraft nimmt, trotz aller Gefahr sich oftmals bis spät in die Nacht für die Armen einzusetzen, antwortet sie mir bei meinem Besuch in Lahore: „Unsere Stärke gibt uns Gott. Er ist die einzige Waffe, die wir haben. Wir hören oft den Vorschlag, uns bei schwierigen Ermittlungen zu bewaffnen. Gott ist der, auf den wir uns stützen. Wir sagen uns immer, wenn er uns wirklich einsetzen möchte, um große Dinge zu tun, dann wird er uns wirklich beschützen.“

Sehr geehrte Damen und Herren, Aneeqa Anthony steht wirklich an der Front zwischen einem universalen, durch Jahrtausende hindurch gewachsenem Menschenrechtsverständnis auf der einen Seite und einer gefährlichen Scharia-Fallrechtsprechung auf der Basis irriger Analogieschlüsse auf der anderen Seite, wo nicht das Leben und die Würde des Menschen, sondern der Schutz der Ummah als höchster absoluter Wert gilt. „Jeder Verantwortliche muss sich bei der Rechtsbildung die Kriterien seiner Orientierung suchen“, sagte Papst Benedikt XVI. vor dem Deutschen Bundestag am 22. September 2011. In einem diplomatisch einmaligen Vorgang forderte er bei seinem traditionellen Neujahrsempfang für die Diplomaten am Heiligen Stuhl am 10. Januar 2011 die pakistanische Regierung dazu auf, das Blasphemiegesetz abzuschaffen – „umso mehr, als es offensichtlich als Vorwand dient, um Ungerechtigkeit und Gewalt gegen die religiösen Minderheiten zu provozieren“. In seiner Ansprache hatte der Papst gesagt, der „tragische Mord“ am Gouverneur der Provinz Punjab zeige, wie dringlich eine Aufhebung des Gesetzes sei. „Die Verehrung Gottes fördert Brüderlichkeit und Liebe, nicht Hass und Entzweiung“, sagte er. Der Vorgang war außergewöhnlich, vor allem außergewöhnlich mutig: Der Generalsekretär der pakistanischen Partei „Jamaat-e-Islami“, Liaquat Baloch, sprach daraufhin von einer „Einmischung in interne und religiöse Angelegenheiten“. Laut der pakistanischen Nachrichtenagentur APP stufte er die Äußerung des katholischen Kirchenoberhaupts als Vorlage ein, „um die ganze Welt in einen blutigen Krieg zu stürzen“. Nicht allein der Mord am pakistanischen Provinzgouverneur eine Woche zuvor mag Benedikt zu diesem Schritt wohl bewogen haben, sondern auch sein intensives Nachdenken über die Grundlagen der Freiheit in einer gerechten Ordnung: „Für die Entwicklung des Rechts und für die Entwicklung der Humanität war es entscheidend, dass sich die christlichen Theologen gegen das vom Götterglauben geforderte religiöse Recht auf die Seite der Philosophie gestellt, Vernunft und Natur in ihrem Zueinander als die für alle gültige Rechtsquelle anerkannt haben“, sagte er in der eingangs zitierten Naturrechtsrede vor der deutschen Volksvertretung. Darin verweist er auf die durch Jahrtausende gewachsene Tradition der Menschenrechte, aus der nicht nur philosophisch, sondern historisch der Universalitätsanspruch abzuleiten ist. „Die christlichen Theologen haben sich damit einer philosophischen und juristischen Bewegung angeschlossen, die sich seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. gebildet hatte. In der ersten Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrhunderts kam es zu einer Begegnung zwischen dem von stoischen Philosophen entwickelten sozialen Naturrecht und verantwortlichen Lehrern des römischen Rechts“, führte er weiter aus. Auch Pakistan steht in dieser gewachsenen Rechtstradition, da es mit seiner Unabhängigkeit am 14. August 1947 das auf dem commom law of England and Wales beruhende Rechtssystem Britisch-Indiens behielt. Die unglückliche Shariazation setzte mit General Zia ul-Haq ein, ein Prozess, der sich unter dem Druck einflussreicher islamistischer Gruppen beschleunigt.

Menschenrechtsverteidiger wie Aneeqa Anthony versuchen, die Situation, die Menschen aus ihrer unheilvollen Lage, zu retten. Der eingangs zitierte Jesaja lebte 700 Jahre vor Christus im Südreich Juda. Die Vorstellung von der Schönheit der Gerechtigkeit fand auch in der römischen Antike ihren Widerhall, so auch im zweiten und dritten Jahrhundert, die Zeit der großen römischen Juristen Papinian, Paulus und Ulpian, die auch in Britannien waren, wie wir durch Theodor Mommsen aus seiner „Römischen Geschichte“ erfahren, und dort, etwa im Beweisrecht, Rechtsgeschichte schrieben. „Die Erkenntnis dieses Rechtes lässt sich mit der Erkenntnis des Schönen, des Harmonischen überhaupt vergleichen. Man denke an das Erfahren von Schönheit in der Musik“, sagte mir die Professorin für Römisches Recht, Nadja El Beheiri, die Aneeqa Anthony für nächsten Dienstag zu einer Vorlesung an ihrem Lehrstuhl eingeladen hat. Sie sagte weiter: „Die römischen Juristen des 2. und 3. Jahrhunderts entwickelten eine Vorliebe für Schönheit und Eleganz im Recht.“ Wie kann die Schönheit des Engagements von Aneeqa Anthony musikalisch ausgedrückt werden, so fragte sich die Stephanus-Stiftung. Aus diesem Grund ist es für mich eine besondere Freude, dass die Künstlerin Gloria Bruni sich heute hier selbstlos an der Ehrung mit dem unglaublich wertvollen musikalischen Rahmen beteiligt. Dies passt so ausgezeichnet, weil sie sich in ihrem Schaffen dem Respekt vor der Religion, den Angehörigen anderer Kulturen und besonders der Liebe zur Harmonie verschrieben hat.

Das Recht kann wie die Musik die Menschen in ihrem Empfinden zusammenführen und versöhnen. Zur Durchsetzung desselben bedarf es jedoch furchtloser Menschenrechtsverteidiger wie Aneeqa Maria Anthony: Auf ihrem Weg, den die Stephanusstiftung voll Hoffnung begleitet, wünschen wir ihr Gottes reichen Segen! Herzlichen Glückwunsch!

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